Wolodymyr Selenskyj auf einer Pressekonferenz am 13. Mai 2025 in Kiew (Ukraine).
analyse

Ringen um Waffenruhe Wie Selenskyj Putin in die Zwickmühle bringt

Stand: 14.05.2025 14:26 Uhr

Kreml-Chef Putin fordert zwar direkte Verhandlungen mit der Ukraine in Istanbul - ob er daran teilnehmen wird, lässt er aber offen. Nun reist der ukrainische Präsident Selenskyj in die Türkei. Was ist seine Strategie?

Von Vassili Golod, ARD Kiew

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirkt angespannt, als er am Dienstag in Kiew vor die Kameras tritt. Seit mehr als 60 Tagen steht das ukrainische Angebot einer sofortigen Waffenruhe im Raum. Ein Angebot, das die ukrainische Delegation im März in Saudi-Arabien gemeinsam mit den USA ausgearbeitet hat. Die Waffenruhe soll mindestens 30 Tage halten, ohne Vorbedingungen.

Dann zählt Selenskyj Hunderte russische Luftangriffe aus den vergangenen zwei Monaten auf - auch, nachdem Russlands Staatschef Putin selbst Feuerpausen ankündigt hatte. Selenskyjs Botschaft: Die Ukraine hält sich an alles, was sie verspricht. Im Gegensatz zu Russland. Selenskyjs Problem dabei ist: US-Präsident Donald Trump, der nicht eindeutig zur Ukraine steht und seit Beginn seiner zweiten Amtszeit wiederholt die Ukraine für die Fortführung des Krieges verantwortlich gemacht hat. 

Dabei sind es vor allem Trump und die USA, die den Druck auf Russland empfindlich erhöhen können. Und ohne Druck, davon ist die Mehrheit der Menschen in der Ukraine überzeugt, wird Putin keine Bereitschaft zu einer Einigung zeigen und seinen Angriffskrieg mit aller Härte fortsetzen.

Folgen Taten auf Europas Ultimatum?

Die Ukraine ist entscheidend auf Unterstützung aus dem Westen angewiesen. Der Solidaritätsbesuch von Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Großbritanniens Premierminister Keir Starmer und Polens Regierungschef Donald Tusk kam im angegriffenen Land vor allem deswegen so gut an, weil sie dem Kreml ein Ultimatum stellten: Entweder hält sich Russland an eine bedingungslose Waffenruhe ab Montag oder es folgen scharfe Sanktionen und eine stärkere Unterstützung der Ukraine. 

Nicht nur Selenskyj erwartet, dass seine Kollegen ihren Worten nun auch Taten folgen lassen. Symbolik haben die Menschen in der Ukraine in den vergangenen drei Jahren im Überfluss gesehen - an ihrem Leid hat das nur wenig geändert.

Kommt es zu einem Treffen Selenskyj - Putin?

Deshalb ist Selenskyj nach Putins jüngstem Manöver, statt einer Waffenruhe zuzustimmen, direkte Verhandlungen in Istanbul noch in dieser Woche zu fordern, erneut in die diplomatische Offensive gegangen. Selenskyjs Ankündigung, er werde am Donnerstag in der Türkei sein und für persönliche Verhandlungen Putins zur Verfügung stehen, zielt auf eine Schwachstelle des Kreml-Chefs.

Putin hat Verhandlungen schon in der Vergangenheit als Verzögerungstaktik genutzt und austauschbare Verhandler vorgeschickt, um Zeit zu schinden und gleichzeitig weiter Krieg zu führen. Dass Selenskyj ihn nun persönlich in die Verantwortung nimmt, soll den Druck auf den Kremlchef erhöhen. 

Es ist bekannt, dass Putin in Russland die Entscheidungen alleine trifft. Wenn er am Donnerstag also nicht persönlich in die Türkei reisen sollte, würde er damit zum wiederholten Mal belegen, dass Russland kein ernsthaftes Interesse an Frieden hat. 

Mit seinem Vorstoß will Selenskyj eine Situation herbeiführen, in der auch Trump diese Faktenlage nicht länger ignorieren kann und entschiedener handeln muss. Zugleich will Selenskyj ihm damit deutlich zeigen, dass nicht die Ukraine einem Ende der Kampfhandlungen im Wege steht. Trump hatte vergangene Woche erneut eine bedingungslose 30-tägige Waffenruhe gefordert und mit neuen Sanktionen gegen Russland gedroht, zwischenzeitlich sogar öffentlich mit dem Gedanken gespielt, selbst in die Türkei zu reisen.

Bisher lässt sich Putin mit seiner Entscheidung Zeit, wer Russland bei den möglichen Verhandlungen vertritt. Es ist daher angesichts seiner bisherigen Verzögerungen und Täuschungen wahrscheinlich, dass Putin einen Grund finden wird, warum er nicht zu einem persönlichen Treffen in die Türkei reisen wird und stattdessen seine Technokraten schickt. Und dann?

Direkte Verhandlungen - aber mit wem?

Beiden Seiten geht es um die Gunst des US-Präsidenten. Russland, weil es einerseits weiterreichende Sanktionen fürchtet und andererseits hofft, den wankelmütigen Trump dazu zu bewegen, bestehende Sanktionen aufzuheben. Der Ukraine, weil sie auf Unterstützung angewiesen ist - und weil sich die Menschen im Land nichts sehnlicher wünschen als Frieden.

Aus diesen Gründen ist es gut möglich, dass Delegationen beider Staaten zu Gesprächen zusammenkommen - aber eben nicht auf oberster Ebene. Trump hat inzwischen angekündigt, er werde wohl doch nicht in die Türkei reisen, sondern seinen Außenminister Marco Rubio sowie die Sondergesandten Steve Witkoff und Keith Kellogg schicken.

Selenskyj würde an einem solchen Format nicht teilnehmen, denn es wäre der Ebene eines Staatschefs nicht angemessen. Doch an den Verhandlungszielen der ukrainischen Seite würde sich nichts ändern. 

Eine bedingungslose Waffenruhe ist die oberste Priorität und bleibt aus Sicht des angegriffenen Staates die Grundlage für weitere Gespräche.