
Thüringen Musiklehrer-Mangel: Was Musikhochschulen jetzt ändern wollen
Chor-AG gestrichen, Schülerensembles ohne Leitung, an manchen Schulen fallen Unterrichtsstunden wochenlang komplett aus. Das Fach Musik rückt auch an Thüringer Schulen immer stärker ins Hintertreffen. Schuld ist der Lehrermangel und der fehlende Nachwuchs an den Hochschulen. Dort könnte ein radikales Umdenken der Musiklehrer-Ausbildung jetzt unausweichlich werden. Vor allem die Eignungsprüfungen stehen nun auf dem Prüfstand.
- Der Beruf des Musiklehrers hat ein Imageproblem, die Bewerberzahlen an den Hochschulen sind um 40 Prozent eingebrochen.
- Hohe Anforderungen und Eignungsprüfungen erschweren die Aufnahme eines Studiums.
- Fachleute fordern mehr Diversität, zum Beispiel musikalische Studienschwerpunkte im Bereich Pop, Elektronik oder Rap.
Es ist wie die sprichwörtliche Frage nach dem Huhn und dem Ei. Was war zuerst da? Dass das Fach Musik als Nebensache, als unwichtiges "Spaßfach" abgetan wird und dadurch nur wenig Ansehen genießt? Oder, dass der Mangel an gut ausgebildeten Lehrkräften zunehmend an der Qualität des Musikunterrichts nagt?
Klar ist: Die Zahl der Musiklehrer in Thüringen ist in den vergangenen zehn Jahren laut Bildungsministerium um mehr als ein Viertel gesunken. Aktuell sind demnach 94 Stellen vakant, betroffen sind fast ausschließlich die Regel- und Gemeinschaftsschulen. Die Zukunftsaussichten sind mit Blick auf die Hochschulen auch nicht gerade rosig: Seit der Corona-Pandemie sind die Bewerberzahlen für ein Studium im Bereich Schulmusik um 40 Prozent eingebrochen. Thüringens Bildungsminister Christian Tischner (CDU) bezeichnet die Situation als "besorgniserregend".
Die Situation ist besorgniserregend. Christian Tischner (CDU), Bildungsminister Thüringen |
Beim Landesmusikrat Thüringen ist das Thema zur zentralen Mammutaufgabe geworden. "Der Lehrerberuf, das wissen wir alle, hat ein Imageproblem", fasst es Generalsekretärin Constanze Dahlet zusammen. Um dem Problem zu begegnen, entwickelt der Rat derzeit akribisch Konzepte, will dafür auch die Zusammenarbeit mit Musikschulen und Hochschulen weiter intensivieren.
Verschiedene Werbekampagnen und Weiterbildungsprogramme, etwa an der Landesmusikakademie in Sondershausen, seien ein erster Schritt. "Wir müssen uns daran gewöhnen, unsere Bewerberinnen und Bewerber im Schulterschluss mit den Hochschulen selbst heranzuziehen", so Dahlet. Junge Menschen müssten so früh wie möglich vom Musiklehrer-Beruf überzeugt, vor allem aber auf die Ausbildung vorbereitet werden.

Institutsdirektor Gero Schmidt-Oberländer unterrichtet einen Studenten am Klavier.
Studie zeigt: Aufnahmeprüfung für Studium schreckt ab
Die Eignungsprüfung steht bei der Debatte besonders im Fokus. Eine bundesweite Studie, die die Gründe für die sinkenden Zahlen in Musiklehrer-Studiengängen untersucht hat, sieht in der Aufnahmeprüfung eine der größten Hürden. Die hohen Anforderungen und die dafür nötige Vorbereitungszeit würden vielen Interessierten die Aufnahme des Studiums enorm erschweren, heißt es.

Christian Tischner (CDU), Thüringer Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, findet die Situation besorgniserregend.
Auch an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar steht die Eignungsprüfung mittlerweile zur Disposition. Seit vielen Jahren sitzt Professor Gero Schmidt-Oberländer, Direktor des musikpädagogischen Instituts, im Prüfungskomitee. Um zu bestehen, müsse man kein Profi sein, betont Schmidt-Oberländer. Bewerber müssen aber unter anderem vorsingen, Klavier spielen, ihr Wissen in Musikgeschichte, Theorie und Gehörbildung unter Beweis stellen und eine Gruppe musikalisch anleiten. Hinzu kommt das künstlerische Schwerpunktfach, bei dem sie zwischen einem Instrument oder Gesang wählen können.
Die primäre Motivation für ein Lehramtsstudium sollte sein, dass man mit Jugendlichen zusammenarbeiten möchte. Kai Martin, Professor für Musikdidaktik |
Dass Studieninteressierte davon abgeschreckt sind, erlebt Schmidt-Oberländer oft. Gleichzeitig komme es immer wieder vor, dass Bewerber sich im Voraus unnötig verrückt machen würden und die Prüfung dann mit links bestehen, so der Professor. Doch kann sich die Musikhochschule die verunsicherten Bewerber überhaupt noch leisten? Kai Martin, Professor für Musikdidaktik und selbst viele Jahre als Musiklehrer tätig, findet Aufnahmeprüfungen in diesem Stil nicht mehr zeitgemäß.
Eine künstlerische Ausbildung sei für ein solches Fach zwar wichtig, "aber man hat doch dann auch im Studium fünf Jahre Zeit sich künstlerisch zu verbessern", so Martin. "Die primäre Motivation für ein Lehramtsstudium sollte sein, dass man mit Jugendlichen zusammenarbeiten möchte." Kai Martin kritisiert auch die zu starke Orientierung an klassischer Musik – sowohl in der Eignungsprüfung als auch in der Ausbildung selbst. Stattdessen müssten die Jugendlichen viel stärker in ihrer musikalischen Realität abgeholt werden.

Constanze Dahlet vom Landesmusikrat unterstreicht: "Das Ziel, nämlich eines grundständig und gut ausgebildeten Musikpädagogen, dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren."
Mehr Diversität in der Musikausbildung gefordert
"Denkbar ist doch auch, dass Jugendliche gute Beat-Maker sind und mit diesen Kompetenzen auch guten Musikunterricht machen können. Aber solche Leute haben bei uns gar keine Chance." Wenn sich potenzielle Studierende ihren musikalischen Schwerpunkt selbst aussuchen könnten – auch, wenn dieser im Bereich Pop, Elektronik oder Rap liegt – würden viel mehr junge Menschen den Musiklehrerberuf für sich in Betracht ziehen, meint Kai Martin.
Laut Gero Schmidt-Oberländer muss der Teufelskreis von der anderen Seite durchbrochen werden: "Die Schülerinnen und Schüler brauchen Vorbilder. Und wenn die in den Schulen fehlen, dann kommt auch niemand auf die Idee, sowas zu werden." Die Eignungsprüfung auf basale Fertigkeiten runterzubrechen oder gar abzuschaffen, sei da der falsche Weg.
Die Schülerinnen und Schüler brauchen Vorbilder. Und wenn die in den Schulen fehlen, dann kommt auch niemand auf die Idee, sowas zu werden. Gero Schmidt-Oberländer, Direktor des musikpädagogischen Instituts |
Anforderungsniveau überarbeiten und fachfremdes Lehrerpersonal
Auch Constanze Dahlet vom Landesmusikrat unterstreicht: "Das Ziel, nämlich eines grundständig und gut ausgebildeten Musikpädagogen, dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren." Das Präsidium der Hochschule für Musik in Weimar bekräftigt, die Prüfung der musikbezogenen Fähigkeiten und des musiktheoretischen Wissens der Bewerber sei notwendig.
Um die Zugangshürden zu verringern, würden spezielle Vorbereitungskurse angeboten. Zugleich kündigt die Hochschule an, das Anforderungsniveau für die Lehramtsstudiengänge künftig stärker unterscheiden zu wollen. So sollen etwa die Prüfungsinhalte in Musiktheorie und Gehörbildung überarbeitet werden. Entsprechende Gespräche mit dem Musikpädagogischen Institut liefen bereits.

Das Institut für Musikpädagogik und Kirchenmusik am Wittumspalais in Weimar.
Im Ringen um den Lehrernachwuchs setzt das Land Thüringen auch auf fachfremdes Lehrpersonal. Das Institut für Lehrerfortbildung bietet Weiterbildungen für Lehrkräfte an, die keine Ausbildung im Fach Musik haben. So soll der Unterrichtsausfall möglichst vermieden werden. Für das Zertifikat müssen die Lehrer den Angaben zufolge 240 Fortbildungsstunden absolvieren. Das schaffe kurzfristige Abhilfe, so die Fachleute. Langfristig brauche es aber ein klares Bekenntnis der Politik zum Fach Musik und dessen Notwendigkeit, so Generalsekretärin Constanze Dahlet. "Wir würden uns wirklich wünschen, dass uns die Politik mehr hört. Wir haben Konzepte, wir könnten da gut zusammenarbeiten."
Redaktionelle Bearbeitung: jb